Vor Kurzem las ich in der Süddeutschen Zeitung, Hanno Berger sei aufgrund eines Haftbefehls des Landgerichts Wiesbaden zur Festnahme ausgeschrieben.

Dr. Berger gilt als einer der profiliertesten deutschen Steueranwälte. In der Presse tauchte sein Name häufiger auf, nachdem u.a. die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt im Zusammenhang mit seiner Beratungstätigkeit zu sog. „Cum-Ex“-Transaktionen Anklage wegen schwerer Steuerhinterziehung erhoben hatte. Das Landgericht Wiesbaden hat die Anklage zugelassen.

Die Person Bergers und das Thema Cum-Ex erwähne ich hier nur am Rande, denn mich interessiert in diesem Beitrag eine andere Frage, die der Artikel aufgeworfen hat: Der nunmehr Angeklagte wohnt nämlich inzwischen in der Schweiz. Dürfte oder müsste die Schweiz einem Auslieferungsersuchen Deutschlands nachkommen? Die SZ schreibt dazu: „Bei einfachen Steuerdelikten liefert die Schweiz nicht aus; das geht nur „in besonders schweren Fällen“. Was aus deutscher Sicht klar ist, wird in der Schweiz oft anders gesehen.“

Das trifft den rechtlichen Maßstab nicht ganz.

Die Auslieferungszusammenarbeit der Schweiz mit den europäischen Staaten stützt sich maßgeblich auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 (EAÜ). Hinsichtlich der Bedingungen für die Auslieferung bei Fiskaldelikten wurde bei den Vertragsverhandlungen jedoch kein Konsens erzielt, sodass Artikel 5 EAÜ die Auslieferung insoweit einer gesonderten Vereinbarung vorbehielt.

Eine solche Vereinbarung unterzeichneten die meisten Vertragsstaaten mit dem Zweiten Zusatzprotokoll zum EAÜ. Dieses legt u.a. die Voraussetzungen fest, unter denen bei steuerlichen Delikten ausgeliefert werden muss. Zwar zählt auch die Schweiz zu den Signatarstaaten. Allerdings hat sie hinsichtlich der hier interessierenden Bestimmungen ein Opt-Out erklärt.

Auch das schweizerische Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) hilft nicht weiter, denn dessen Artikel 3 lässt die Auslieferung wegen Taten, „die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint“, nicht zu. Da schließlich auch kein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz existiert, das eine abweichende Regelung träfe, sieht es zunächst so aus, als bestünde in der Schweiz bei Steuerdelikten praktisch ein Auslieferungsverbot.

Indes hat die schweizerische Justiz für bestimmte Fälle einen Hebel gefunden, der die Auslieferung gleichwohl ermöglicht:

Ist nämlich der dem Beschuldigten vorgeworfene Sachverhalt nach schweizerischem Recht als Betrug (Artikel 146 des Schweizerischen StGB) strafbar, greifen die Auslieferungsrestriktionen für Fiskaldelikte nicht. Denn ein „Fiskaldelikt“ liegt in diesen Fällen gar nicht vor. So entschied das Bundesgericht in der Vergangenheit zum Beispiel z.B. in Fällen, in denen fiktive Rückerstattungsansprüche unter Vorlage falscher Urkunden geltend gemacht und so Rückzahlungen von zuvor nicht entrichteten Steuern erschlichen wurden.

Hier liegt wohl auch der Knackpunkt in der causa Berger:

Die schweizerischen Behörden und Gerichte hätten im Fall eines Auslieferungsersuchens der Bundesrepublik zu prüfen, ob die gegen Berger erhobenen Vorwürfe – ihre Richtigkeit unterstellt – nach schweizerischem Recht als Betrug strafbar wären. Von einer wie auch immer gearteten besonderen Schwere des Falls, wie die SZ meint, hängt die Auslieferung Bergers dagegen nicht ab.

Dass die schweizerische Justiz diesen „Umweg“ über den Betrugstatbestand zu gehen hätte, hängt auch damit zusammen, dass es in den Cum-Ex-Verfahren um die Kapitalertragssteuer, also eine Erhebungsform direkter Steuern geht. Bei indirekten Steuern wie etwa der Umsatzsteuer wäre das nicht nötig, weil die Schweiz ein Schengen-Staat ist. Als solcher unterliegt sie dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), dessen Artikel 50 zur Auslieferung wegen Verstößen gegen Bestimmungen aus den Bereichen „Verbrauchssteuern, Zoll und Mehrwertsteuer“ verpflichtet.